Frühjahrssemester
2008 ETH-Zürich
Der
Romancier als Historiker -
Nagib Machfus und Ägypten im 20. Jahrhundert
Nagib Machfus' (1911-2006)
erste Romane, publiziert Anfang der 1940er Jahre, haben die pharaonische
Geschichte zum Gegenstand, wobei es dem damals Dreissigjährigen
nicht um eine idealistisch verherrlichte Vergangenheit ging, sondern,
neben der Identitätssuche, um Kritik an seiner Gesellschaft. Konstellationen
aus der Vergangenheit verwendete er, um die Gegenwart zu kritisieren.
Seit Mitte der 1940er Jahre hat sich Nagib Machfus dem Teil seines Gesamtwerkes
zugewandt, auf das sich sein Ansehen gründet: eine Art Chronik
Ägyptens seit dem Ersten Weltkrieg. In mehreren Romanen geht es
um verschiedene Gesellschafts-, Entwicklungs- und Machtfragen jener
Zeit. Das bleiben weitgehend seine Themen, auch wenn sich später
die Akzente verändert haben und das Individuum stärker hervorgehoben
wird - in seinem Leiden und seiner Verantwortung, in seinen Hoffnungen
und seinen Enttäuschungen, vielfach auch in seinen spirituellen
Dimensionen.
Das war in den 1960er Jahren, einer Zeit weitreichenden Umdenkens in
der arabischen Welt. Das Jahr 1967 mit seiner verheerenden Niederlage
der arabischen Heere gegen Israel und dem Zusammenbruch der grossen
Hoffnungen ist dafür Symbol.
Direkt politisch engagiert war Nagib Machfus nie. Das sah er nicht als
seine Aufgabe an, und so hat er sich Gefängnisaufenthalte erspart,
wie sie zwischen den 1940er und 1970er Jahren für ägyptische
Intellektuelle und Schriftsteller fast schon gang und gäbe waren.
Der Nobelpreis (1988) hat Nagib Machfus in eine Rolle gedrängt,
die er nie so recht gesucht hatte und die er doch auch zu geniessen
schien: die Rolle des Sprachrohrs, des väterlichen Beraters, der
moralischen Autorität, eine Rolle, die von ihm verlangte, sich
über vieles zu äussern, die ihm aber auch erlaubte, laut und
deutlich gegen Erscheinungen Stellung zu beziehen, die er unschön
fand. Besonders gegen religiösen Fanatismus hat er sich in seinen
letzten Jahren vielfach zu Wort gemeldet.