|
Der Autor:
Dschabbur al-Duwaihi (geb. 1948) ist, nach langjährigem Studium in
Paris, heute Professor für französische Literatur in Tripolis
(Nord-Libanon). Er gilt als einer der vielleicht zehn bekanntesten und
wichtigsten zeitgenössischen "arabophonen" (also auf Arabisch
schreibenden) Prosaautoren im Libanon. Dabei ist sein "Ausstoss"
nicht übermässig. Erst mit etwa vierzig Jahren zum Schreiben
gekommen, hat er inzwischen eine Sammlung mit Erzählungen und drei
Romane veröffentlicht.
Seine ersten beiden Romane sind im Nord-Libanon angesiedelt und befassen
sich mit je einer einzelnen Person, sind also stark individuumsbezogen.
Erst mit Rosenborn (Ain Warda) begibt sich der Autor Richtung Hauptstadt,
in den Einzugsbereich von Beirut. Und hier wagt er sich auch erstmals
ins Historische vor, folgt also auch einer Tendenz, die z. Zt. im Libanon
vielfach anzutreffen ist: der Sprung zurück vor den Bürgerkrieg,
auch vor den Zweiten Weltkrieg und die Unabhängigkeit des Libanon,
um zu ergründen oder zu reflektieren, wo die Ursache für den
libanesischen Malaise liegt.
Bisher gibt es jedoch in der libanesischen Literatur kein Werk zu diesem
Thema von vergleichbarer Intensität, Genauigkeit und ironischer Distanz.
Das Werk:
Ain Warda (ein erfundener Ortsname, gebildet nach dem Muster wirklicher
Ortsnamen im Libanon; wiederzugeben vielleicht mit "Rosenborn"),
ein knapp 300 Seiten langer, Anfang 2002 erschienener Roman, den ein libanesischer
Rezensent schon "den Roman des Libanon", seines Aufstiegs und
seines Niedergangs, nannte, beschreibt den Wandel des Zedernlandes im
20. Jh. am Beispiel hauptsächlich einer Familie und ihrer einst herrschaftlichen
Villa. Man darf hier sicher an Th. Mann Buddenbrooks denken.
Gezeigt wird eine Villa in einem Dorf oberhalb von Beirut. Inzwischen
im Zustand fortgeschrittenen Verfalls, hat das Haus einst bessere Tage
gesehen, als es noch Heimstatt einer grossen und berühmten libanesischen
(christlichen)Familie war. Woher diese stammte, war immer Gegenstand von
Debatten: aus der Wüste oder vom Meer? Doch aufgrund verschiedener
Zeichen der "Degeneration" löst sich die Familie nach und
nach auf. Das Haus - testamentarisch vom Erbauer unteilbar und unveräusserlich
gemacht - wird nur notdürftig von arabischen, von Osten immigrierten
Zuzüglern instand gehalten, die sich im Souterrain einquartiert haben
und auch den letzten noch verbliebenen Spross der Familie in der Bel étage
mit versorgen. Doch schliesslich taucht als einziger Erbe der Sohn jener
Tochter der Familie auf, die einst zum Entsetzen aller einen Muslim geheiratet
hat.
Ain Warda präsentiert in einer Mischung aus historischem Ernst und
ironischer Distanz (samt mitunter skurriler Elemente) eine libanesische
Familiengeschichte in Einzelbildern, die sich aber zu einem Gesamttableau
zusammenfügen. Es ist, wie ein Rezensent schrieb, als ob man einen
mehr oder weniger geordneten Haufen von Fotos einer Familie durchsähe:
Verschieden Personen werden zu unterschiedlichen Zeiten und Episoden ihres
Lebens sichtbar.
Es handelt sich sicherlich um die umfassendste literarische Darstellung
des Libanon. Ein Buch, das auf spannende, unterhaltsam-ernste Weise zeigt,
warum es im Libanon wohl ist, wie es ist.
Leseprobe
(PDF)
|